Horst Gauss

Der Toilettenpräsident

Das darf ja wohl nicht wahr sein, was ich Ihnen jetzt erzähle, doch es geschah wirklich so, und manchmal muss ich noch heute lachen, wenn ich an dieses Husarenstück denke.

Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie werden in Ihrem Boxverein einstimmig zum Vize - Präsidenten oder Kassenwart gewählt, erhalten den Applaus der anwesenden Mitglieder , freuen sich über das Vertrauen, das Ihnen die Vereinsmitglieder gerade bezeugt haben, gehen dann aber mal für einen Moment auf die Toilette um Ihre Notdurft zu erledigen , kommen zurück und sind Ihres Amtes enthoben, ohne dass Sie davon in Kenntnis gesetzt werden. .

Das ist ja unglaublich ! Das ist ja schlimmer als in einer Bananen - Republik !

Doch es kommt noch viel schlimmer !

Sie üben Ihr Amt weiter aus und erfahren erst 1 Jahre später, dass Sie während Ihres Toilettenbesuches abgewählt wurden, also gar nicht Vize - Präsident waren.

So geschehen in Neu Isenburg am 7. März 1989 bei der Generalversammlung des dort ansässigen Boxringes.

Sie wissen ja sicherlich selbst, wie es oftmals um die Demokratie in kleinen Vereinen bestellt ist. Da wird zwar offiziell gewählt so mit " Handzeichen erheben " usw ., aber seien wir mal ehrlich , gewählt bzw. bestimmt wird sehr oft derjenige, der sich bereits vorher als "Dummer" herauskristallisiert hat, dem man also ein Amt andrehen kann. Der Amateur - Boxverband, Amtsgericht und sonstige Behörden mögen beim Lesen dieser kleinen Episode vielleicht beide Augen zudrücken. Die Sache ist ja "Gott sei Dank" verjährt!

Der Boxring Neu Isenburg war seinerzeit ziemlich am Boden, doch musste ja ab und zu mal gewählt werden, und so trafen sich an jenem Märzabend zur sogenannten Jahres -Hauptversammlung in "Rosis Luxemburger Truhe" in der Bahnhofstraße 8 Erwachsene und 9 jugendlich Boxer, meist Ausländer, der deutschen Sprache kaum mächtig. Ich hatte die Jungs nach dem Box - Training zu dieser kuriosen Versammlung beordert, damit wenigstens ein "paar Hanseln" bei der Hauptversammlung anwesend waren. Schließlich musste ja der Vorstand gewählt werden. Ich hatte da so meinen Plan in der Tasche. Da gab es damals einen Bernie Rouge in Neu Isenburg, den ich zu gerne als Vizepräsident gehabt hätte, weil Bernie nicht nur ein guter Freund war, mit dem ich etwas aufbauen wollte, sondern weil er auch kräftig “in die Tasche ging “, wenn man ihn drauf hob. Und deswegen hatte ich schnellstmöglich diese Wahlen anberaunt um ihn als neuen Vizepräsidenten wählen zu lassen, denn wir brauchten viel viel Geld. Es sollte doch wieder aufwärts gehen beim Boxring. Doch noch war Jürgen Beck als Vizepräsident in Amt und Würden. Jürgen Beck, ein netter Junge, seit vielen Jahren beim CSC und später beim Boxring Neu Isenburg engagierter Hobbyboxer , war schon jahrelang Vizepräsident obwohl ihm eigentlich gar nicht so viel an diesem Posten gelegen war, aber man hatte mit ihm irgendwann einmal den "Dummen" gefunden und Jürgen machte seine Sache, den Umständen entsprechend gut.

Doch jetzt sollte nach meinem Plan mit Bernie Rouge alles anders werden.

Mein Plan wäre sicherlich auch aufgegangen, nur Bernie Rouge machte mir einen Strich durch die Rechnung , denn er kam nicht zu dieser für ihn und mich so wichtigen Hauptversammlung.

Also schien alle Mühe umsonst, und ich musste nun gedanklich umschalten - den geplanten neuen Vize-Präsidenten Bernie Rouge schnellstens wieder ad acta legen - und den alten Vizepräsidenten Jürgen Beck neu posieren, dass er sich noch einmal für diesen Posten des Vize - Präsidenten zur Wahl stellen würde. Jürgen wollte erst nicht so richtig, aber nachdem ich ihn inständig bat und ihm mit geschwollenen Worten erklärte, dass er seine Arbeit hervorragend gemacht habe, und, dass der Vorstand ohne ihn undenkbar sei, da stimmte Jürgen zu, gerührt ob der vielen ergreifenden Worte.

Die Wahl ging schnell vonstatten . " Wer ist dafür, dass Horst Gauß zum " Dummen" , Entschuldigung, natürlich zum Präsidenten gewählt wird? " Alle Arme flogen hoch. Die anwesenden Erwachsenen waren froh, dass sich wieder ein " Dummer "gefunden hatte und die 9 Jugendlichen, die wie Schafe da saßen, waren sowieso einverstanden. Man hätte sie auch fragen können, ob sie mit dem Oberkellner oder der Rosi, der Chefin aus der Luxemburger Truhe als neuen Präsident einverstanden wären, sicherlich hätten sie auch dann alle " Määääh ", Entschuldigung, natürlich "Ja" gesagt. Ihre Zustimmung galt als sicher, egal für wen. Die Jungs, die meisten aus der Türkei, hatten noch nie in ihrem jungen Leben an solch einer Versammlung teilgenommen und verstanden sowieso nicht, was da vorn abging. " Wer ist dafür, dass Jürgen Beck Vize - Präsident wird? " Wiederum machte ein einheitliches "Määääääh", Entschuldigung, " Ja" die Runde. Aydar; ein 14 - jähriger, lustiger kleiner Türke, zum erstenmal an diesem Abend beim Boxtraining dabei, und anschließend gleich bei dieser so wichtigen Versammlung als Wahlberechtigter , meinte: " Was ich machen müssen ? Wer sein Jugen Begg ? , aber mir sein egal, ich Finger hoch heben! " Jürgen Beck nahm die Wahl an, nachdem ich ihn, wie gesagt, inbrünstig bearbeitet hatte, und er konnte sich somit nach wie vor Vizepräsident nennen. Mir war ein Stein vom Herzen gefallen, dass Jürgen weiter im Amt blieb, denn nachdem Bernie Rouge uns versetzt hatte, war ich froh, dass er, den ich ja eigentlich entlasten wollte, das Amt wieder angenommen hatte.

" Wer ist dafür, dass Willi Kirchner Kassierer wird? "

Wieder bestätigte ein einheitliches "Määäääääh" diese für den Verein so wichtige Position. Es gab ja auch sehr viel zu kassieren, bei 13 Mitgliedern.

Der langjährige Vorstand war also wieder komplett bestätigt worden.

Doch dann nahm die Versammlung eine sehr merkwürdige Wende, nur weil der neue und alte Vizepräsident Jürgen Beck mal eben auf die Toilette musste. Hätte er geahnt, welch undemokratischer Schicksalsschlag ihm während seines Toilettenganges sein Amt raubte, er hätte diesen Gang sicherlich nicht angetreten.

Just in dem Moment, da Jürgen Beck in der Toilette verschwunden war, betrat Bernie Rouge Rosis Luxemburger Truhe" begrüßte, leicht angetrunken alle Mitglieder und entschuldigte sich dafür, dass er zu spät gekommen war.

Mir blieb zunächst die Spucke weg. Ich war natürlich sauer auf Bernie Rouge, schließlich sollte er doch zum Vizepräsidenten gewählt werden und nicht Jürgen Beck.

Ich schimpfte und trauerte der verpassten Gelegenheit nach. Zu Willi Kirchner meinte ich, ob er vielleicht einen Rat wüsste, wie man Bernie Rouge doch noch zum Vizepräsidenten machen könnte. Kirchner meinte, wir sollten den Vizepräsidenten, also den Bernie Rouge, jetzt - da Jürgen Beck auf der Toilette ist - einfach noch mal neu wählen, das mache dem Jürgen nichts aus. Wie das ? Der Vizepräsident war doch schon gewählt ! Ich musste zunächst lachen über diese obskure Idee, doch je länger Jürgen auf der Toilette blieb um so schneller nahm diese verrückte Idee reale Gestalt an. Jürgen Becks Pech war es, dass er etwas länger als gewöhnlich auf der Toilette blieb. Denn während der gute Jürgen noch auf dem stillen Örtchen verweilte, wurden flugs alle Bedenken beiseite geschoben und Bernie Rouge als neuer Vizepräsident vorgeschlagen.

"Wer ist dafür, dass Bernie Rouge neuer Vizepräsident wird? "

Aydar fragte neugierig: "Wer sein Bernie Rusch, ich dachte Wahl schon vorbei", aber, so dachte er, vielleicht war es ja in Deutschland so üblich, dass neu gewählt wurde, wenn jemand auf die Toilette ging. " Ach egal, ich einfach Hand hoch und haben meine Ruh ! " Warum kam Jürgen aber auch nicht von der Toilette zurück, noch hätte er das große Unglück vermeiden können. Immerhin hörte man jetzt das Wasser auf der Toilette rauschen, er konnte also jeden Augenblick zurückkommen. Doch Jürgen kam nicht so schnell, er musste sich ja noch die Hände waschen, und so nahm das Verhängnis seinen Lauf..

Wiederum ein einheitliches "Määäääääh" , sprich "Ja" , der anwesenden Mitglieder, bei der Frage, wer damit einverstanden sei, dass Bernie Rouge neuer Vizepräsident würde.

Bernie nahm die Wahl natürlich an und bestellte 1 Flasche Champagner und viel Cola für die Jungs.

Die Boxer jubelten. Dieser Bernie war der richtige Mann am richtigen Ort.

Auf der Toilette hatte das Rauschen des Wassers aufgehört !

Doch zu spät !

Als Jürgen nichtsahnend zu seinen Kameraden zurückkam , wunderte er sich über die ausgelassene Stimmung, die komischerweise während seiner Abwesenheit aufgekommen war. Die Jungs feierten gerade den neuen Vizepräsidenten und Jürgen trank ein Gläschen mit und stieß mit Bernie an, nicht ahnend, dass er soeben dem neuen Vizepräsidenten zugeprostet hatte. Er konnte ja nicht wissen, dass er während seiner Abwesenheit seines schweren Amtes auf demokratische , äh, toilettenartige Weise enthoben worden war. Jürgen erfuhr erst zwei Jahre später bei der nächsten Vollversammlung, dass er 1989 gar nicht zum Vizepräsidenten gewählt worden war. Er nahm´s mit Humor, ging aber, nachdem er wiederum neu gewählt worden war, vorsorglich nicht mehr auf die Toilette.

von Horst Gauß