Horst Gauss

Olaf´s Hammer - Ohnmacht hier, Ohnmacht dort !

Was wäre der Boxsport ohne die vielen Anekdoten, die sich um die Ringhelden ranken. Da passierten schon die seltsamsten Dinge, an die man sich noch gern erinnert. Auch beim CSC gibt es Stories, die man sich immer wieder am Stammtisch erzählt und die in der Erinnerung fortleben. Die DABV-Gewaltigen mögen im nachhinhein den einen oder anderen Verstoß verzeihen. Verjährung gibt es sicherlich auch bei den Boxern. Es war ein herrlicher Freitag abend irgendwann im Sommer 1971, als sich der CSC mit seiner Boxstaffel auf den Weg machte, um in Griedelbach gegen den frisch gegründeten BC Wetzlar zu boxen. Die Veranstaltung sollte in einem Festzelt um 20.00 Uhr beginnen und so startete die Frankfurter Crew um 18.00 Uhr am Südbahnhof, gut gelaunt und frohgestimmt. Doch die Stimmung sank sichtlich, als die Frankfurter Autokolonne direkt hinter dem Frankfurter Kreuz in einen „Wahnsinnsstau“ geriet. Dieser Stau wollte und wollte nicht enden, nicht einmal im Schritt-Tempo ging es voran und die Zeit eilte davon. Es war bereits 19.30 Uhr, also eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn, als man noch immer kurz hinter dem Frankfurter Kreuz kroch und Griedelbach liegt in der Nähe von Brandoberndorf, also ein kaum erreichendes Ziel. Die Frankfurter entschlossen sich, die Autobahn bei der damals noch existierenden Behelfsausfahrt in Rödelheim zu verlassen, um auf der Landstraße zu fahren. Pünktlich 20.00 Uhr beim Veranstaltungsbeginn machten die Frankfurter Boxer an der Friedberger Warte halt und berieten, ob es überhaupt noch sinnvoll sei, zur Veranstaltung nach Griedelbach zu fahren. Das waren ja immerhin noch satte 50 Kilometer und die auch noch per Landstraße , das war eigentlich sinnlos. Man konnte die Veranstaltung auch nicht telefonisch absagen, da es ja im Bierzelt zu Griedelbach kein Telefon gab. Und da saßen jetzt 400 erwartungsfrohe Menschen und warteten auf die Frankfurter Boxer. Die CSC-Boxer entschlossen sich trotz allem nach Griedelbach zu fahren und es wurde eine wahre Irrfahrt über Bad Nauheim, Butzbach, Brandoberndorf. Keiner kannte den Weg genau und eine Landkarte hatte auch niemand dabei. Doch die Frankfurter fanden das versteckte Bierzelt im Griedelbacher Wald und wurden von den nun nicht mehr nüchternen Zuschauern empfangen, die hoffnungsvoll gewartet hatten. Bier gab es ja reichlich und auch die Kapelle sorgte dafür, dass es nicht zu langweilig wurde. Es war genau 21.30 Uhr, also eineinhalb Stunden später als vorgesehen und es ging nun alles hopplahopp. Zeit für Beschimpfungen war nicht mehr. Der Veranstalter Günther Hainke war froh, dass überhaupt noch etwas zustande kam. Um 22.00 Uhr liefen dann beim Radetzky-Marsch die beiden Mannschaften ein. Doch die Zuschauer, die ja nun schon lange gewartet hatten und von denen die meisten noch nie einen Boxkampf gesehen hatten, sollten noch seltsame Dinge an diesem denkwürdigen Freitag abend erleben, einem wunderschönen lauen Abend, an dem so gar nichts klappen wollte. Zunächst boxten zwei seltsame Anfänger, die sich überhaupt nichts taten, sondern sich nur drei Runden lang schattenboxend durch den Ring bewegten, sich böse ansahen, aber beileibe nicht schlugen. Nach diesem „verheißungsvollen Auftakt“ boxte Wetzlars Lokalmatador Ingo Wohlgemuth gegen einen Frankfurter Türken namens Gülenz, der schon vor dem Kampf komische Gefühle bekam und nun angesichts der tatsächlichen Konfrontation im Ring absolut nicht boxen wollte. Das Gejohle der Zuschauer hatte ihm den letzten Nerv geraubt. Gefährlich sah er schon aus, der Gülenz, doch er hatte das Herz eines Hasen. Er wollte einfach nicht in den Ring. Plötzlich wurde ihm schlecht und er meinte, er müsse brechen. Auch tat ihm plötzlich die rechte Hand weh. Es war entsetzlich, er konnte einem wirklich leid tun, der arme Gülenz. Doch er schaffte schließlich den Weg in den Ring und er hörte auch noch den Gong, der die erste Runde einläutete. Wohlgemuth kam aus seiner Ecke und streckte Gülenz die Hand zum Gruß entgegen. Doch was tat dieser. Der arme Wicht schlug aus Angst die Hände über den Kopf zusammen und rannte weg. Wohlgemuth hinterher eilend schlug eine leichte linke Gerade und traf den in sich zusammen kauerten Gülenz ganz leicht auf die Deckung. Da ließ sich Gülenz theatralisch zu Boden fallen, streckte Arme und Beine von sich und erwartete sehnsuchtsvoll das „Aus“ des Ringrichters. Mit gequälter Miene ließ er sich dann auch noch in die Ecke tragen.

Was mögen sich nur die Zuschauer gedacht haben? War das immer so bei den Boxern?

Egal, wie dem auch sei, sie hatten einen Sieger. Ihr Ingo Wohlgemuth hatte gewonnen. Viel Applaus begleitete den glücklichen Sieger in die Kabine, während Gülenz sich wie ein geprügelter Hund weg schlich und nie wieder gesichtet wurde. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Jetzt kam der zweite Wetzlarer Lokalmatador an die Reihe. Es war Eberhard Rink, ein guter Halbschwergewichtler, ein echter Wetzlarer Bub. Er musste gegen Olaf Rausch ran. Olaf, bekannt für seinen rechten Hammer, zögerte auch nicht lange. Gleich nach Beginn der ersten Runde schlug er präzise genau auf die Kinnspitze von Rink, der nach hinten fiel und wie tot im Ring lag. Die Zuschauer verstanden die Welt nicht mehr. Das war schon alles komisch. Der Ringrichter brauchte nicht mehr zählen, Olaf hatte genau getroffen und Rink war nun mal klassisch k.o. Eigentlich nichts schlimmes, das kann immer vorkommen, doch nun rief ein betrunkener Zuschauer durchs Zelt: „Der Rink ist tot“! Entsetzen und Panik breitete sich blitzschnell aus. Gretel Hainke, die rührende Gattin des Wetzlarer Vorsitzenden, die sich um das leibliche Wohl der Gäste gekümmert hatte, hörte den Ausruf und fiel in Ohnmacht, schließlich war Eberhard Rink einer ihrer Jungs, der ihr ganz besonders ans Herz gewachsen war. Sie kippte hinter ihrem Tresen in sich zusammen. Der Ringarzt, der sich noch um den k.o. gegangenen Boxer kümmerte, wusste nun gar nicht mehr, wo er zuerst helfen sollte. Zwei Tatorte; auch die Zuschauer wussten nun nicht mehr, wo sie ihre Aufmerksamkeit hinlenken sollten, zu vielfältig war das Geschehen im Bierzelt. Und Olaf stand oben im Ring und wusste nun auch nicht mehr weiter. Ohnmacht hier und Ohnmacht dort, nur schnell weg von diesem Ort, so dachten sich jetzt die Zuschauer und verließen fluchtartig das Zelt. Nicht, dass ihnen auch noch etwas zustoßen würde. Während Dr. Brückner den Boxer Rink behandelte, legten Helfer die arme Frau Hainke auf einen Äppelwoitisch und riefen verzweifelt nach dem Ringarzt. Der hatte es endlich geschafft, Eberhard Rink auf die Beine zu helfen und rannte nun flugs zu Frau Hainke, um sie mit Hilfe eines Riechfläschleins wieder zu beleben. Es sollte und wollte an diesem Abend keine rechte Stimmung mehr aufkommen und die beiden noch folgenden Schlusskämpfe fanden kaum Beachtung. Doch Ende gut, alles gut. Der k. o. war schnell vergessen, Gretel Hainke und Eberhard Rink amüsierten sich über ihre „doppelte Ohnmacht“, der einzige wirklich Leid tragende an diesem Abend war der arme Ringarzt Dr. Brückner, der musste sich nämlich nun nach seinem Doppeleinsatz auch noch die Leidensgeschichte des „schwer k.o. gegangenen“ Boxers Gülenz anhören, der mit aller Macht versuchte, Dr. Brückner eine Erklärung für sein Versagen abzubringen.